Patchworkfamilien

Das Zusammenleben in Patchworkfamilien stellt hohe Anforderungen an alle beteiligten Personen. Hoffnungen und Erwartungen bestehen bei Kindern und Erwachsenen genauso wie Ängste und Zweifel. Der Beitrag zeigt unterschiedliche Grundsätze auf, deren Beachtung das Zusammenspiel in Stieffamilien erleichtern kann. Dabei wird auch auf Besonderheiten, wie zum Beispiel auf neu hinzukommende Stiefgeschwister eingegangen. Die Neubesetzung der Elternrolle sowie unterschiedliche Besuchsregelungen erfordern viel Toleranz und Kraft von allen Familienmitgliedern.

Familie, Gemeinschaft, Patchwork

Ziele von Patchworkfamilien

ist es, als Stieffamilie zusammen zu wachsen und den Alltag mit allen Rechten und Pflichten gemeinsam meistern zu können.

Kinder, die in Stieffamilien aufwachsen, gehören meist zwei Familien an. Die primäre Stieffamilie ist jene, in der sie die meiste Zeit verbringen. In der sie auch mit jenem Elternteil zusammenleben, der die Obsorge für das Kind hat. Hier herrscht der Alltag des Kindes. Die Kinder verbringen aber auch meist einen Teil ihrer Zeit in der sekundären Stieffamilie.

Nun ist es interessant: Die Mitglieder einer Stieffamilie haben häufig unterschiedliche Ansichten darüber, wer eigentlich und in Wahrheit zu ihrer Familie gehört. Die erwachsenen Mitglieder der Primärfamilie zählen die Mitglieder der sekundären Stieffamilie des Kindes oft nicht zu ihrer eigentlichen engeren Familie. Kinder wiederum sind häufig in beide Familien mit ihren Regeln, Vorstellungen und Traditionen so eingebunden, dass sie meist alle Mitglieder beider Familien zu ihrer engeren Familie rechnen. Es ist allerdings auch möglich, dass Einzelne, mit denen man nicht so gut zurecht kommt, nicht als vollwertige Familienmitglieder akzeptiert, und daher auch nicht zur Familie gezählt werden.

Die solcherart unklare Abgrenzung der Familie nach außen und die Unsicherheit darüber, wer welcher Familie angehört, erschweren die Orientierung für Außenstehende. Aber auch die Zusammengehörigkeit und Exklusivität der Stieffamilie werden gefährdet.

Was haben nun Kinder im Idealfall davon, gleichzeitig mehreren Familien anzugehören?

Sie können jeweils verschiedene Familienregeln und Formen des Umgangs miteinander kennen lernen, die Fähigkeit entwickeln, sich an unterschiedliche Erziehungsstile anzupassen und flexibel auf Erwartungen zu reagieren.

Das Kind hat zwei Orte, an denen es sich “zu Hause” , sicher und geborgen fühlen kann. Für das Kind ist es hilfreich, wenn es auch beim außerhalb der Stieffamilie lebenden leiblichen Vater oder bei der Mutter einen eigenen Platz hat, vielleicht sogar ein eigenes Zimmer, jedenfalls Spielsachen, eine Spielecke oder einen eigenen Schreibtisch.

Ein Kind kann nicht nur zwei Familien, sondern kann auch zwei Mütter und zwei Väter haben, d.h. Kinder können unter günstigen Bedingungen mehrere Erwachsene als mütterliche und väterliche Bezugspersonen ansehen. Dies muss nicht heißen, dass alle Personen, die das Kind als Eltern betrachtet, die selbe Bedeutung im Sinne seelischer Nähe und Verbundenheit besitzen. Sie können aber wichtige Teilbereiche der elterlichen Aufgaben erfüllen.

Die spezifischen Erwartungen, die ein Kind bezüglich der Erfüllung elterlicher Aufgaben an die einzelnen Personen hat, werden nicht nur von seinem Alter, sondern auch von seinem Geschlecht, seiner bisherigen Familiengeschichte, der Verfügbarkeit der Eltern für das Kind und der spezifischen Lebenssituation der Familie mitbestimmt.

Auch Toleranz muss gelehrt und gelernt werden! Wie leicht oder wie schwer es dem Kind fällt, mehrere Erwachsene als Eltern zu akzeptieren, hängt auch davon ab, ob es fürchten muss, bestimmte Personen zu kränken, wenn es auch anderen Zuneigung entgegenbringt.

Was sind spezifische Probleme in solchen Situationen?

Es gibt keine allgemein gültigen Vorgaben dafür, wie unterschiedliche Eltern benannt werden sollen. Es ist letztlich dem Kind überlassen, ob es zum Stiefvater “Neuer Papa” sagt, ihn als “Vati” anspricht (im Gegensatz zum leiblichen Vater, der als “Papa” bezeichnet wird) oder ihn einfach mit seinem Vornamen anredet.

Mehrere Eltern zu haben bedeutet, dass von mehr als zwei Seiten an das Kind Erwartungen herangetragen werden. Meistens wird es versuchen, allen gerecht zu werden. Hier lauert freilich eine Gefahr: Wer allen gerecht werden möchte, droht zerrissen zu werden.

Mitunter wollen die verschiedenen Personen auch Widersprüchliches von ihrem Kind. Möglicherweise will der Stiefvater seinen Sohn zu einem durchsetzungsfähigen, energischen, zielstrebigen Erwachsenen erziehen, der leibliche Vater jedoch legt vorwiegend Wert auf die Ausbildung sozialer Fähigkeiten. Solche unterschiedlichen Ansprüche der Eltern führen oft zur Überforderung oder Verunsicherung des Kindes.

Aber natürlich kann das Spiel der Beziehungen in jede Richtung ausschlagen. Kinder benützen oft die Gelegenheit, die Erwachsenen gegeneinander auszuspielen. Für Eltern ist es dann nicht immer einfach, verständnisvoll, klar und konsequent zu reagieren … und das, ohne den Partner abzuwerten. Typischerweise versucht das Kind, seine Wünsche mit der Begründung durchzusetzen, dass es beim Papa oder bei der Mama Bestimmtes immer dürfe, zum Beispiel bis zu einer bestimmten Zeit aufzubleiben.

Mehr als “nur” eine Mutter und “nur” einen Vater zu haben, stellt für Kinder auch eine einmalige Chance dar und bietet auch Vorteile. Sie können den getrennt lebenden Vater/Mutter als wichtige Bezugs- und Kontaktperson behalten. Zusätzlich finden sie weitere Erwachsene vor, die möglicherweise Verständnis und Zeit investieren und sich zu weiteren wichtigen Menschen im Umkreis des Kindes entwickeln.

Das Kind hat die Möglichkeit, sich von mehreren Personen jeweils das zu holen, was diese im Besonderen geben können. So mag die neue Partnerin des nicht sorgeberechtigten Vaters die am besten informierte Gesprächspartnerin über derzeit aktuellste Musikgruppen sein, der leibliche Vater der Kompetenteste im Bereich neuer Computerspiele, der Stiefvater am besten in der Lage, bei der Reparatur der Rollerskates zu helfen, und die Mutter die aufmerksamste Zuhörerin, wenn es darum geht, den Schulfrust loszuwerden. Damit die Patchworkfamilie nicht zerbricht sind einige Grundsätze und Regeln zu beachten.

Grundsätze und Familien-Regeln

Damit Ihr Kind aber diese Chancen nützen kann, muss eine Reihe von Vorbedingungen gegeben sein, deren Herstellung und Aufrechterhaltung nicht immer leicht ist:

…Eltern sollten sich dessen bewusst sein, dass sie für das Kind wichtig, wertvoll und einmalig sind, auch wenn daneben eine zweite mütterliche oder väterliche Bezugsperson existiert.

…Geben Sie dem Kind die Gewissheit, dass es für die Eltern akzeptabel ist, wenn es sie alle mag und deren positive Seiten schätzt. Vor allem: Das Kind muss auch die Freiheit besitzen, dies zeigen zu dürfen.

Das bedeutet: Körper und Seele sollten übereinstimmen! Wenn Sie nicht ehrlich sind, seien Sie sicher, Ihre Körpersprache verrät Sie! Das Kind wird es vielleicht nicht kommentieren, aber bemerken wahrscheinlich schon.

Ein Beispiel: Das Kind erhält zwar verbal die Erlaubnis, z.B. mit der neuen Partnerin des außerhalb lebenden Vaters Geburtstag zu feiern. Es muss aber aus Gesichtsausdruck und Körpersprache seiner Mutter ablesen, dass diese damit eigentlich nicht einverstanden ist … Wenn so etwas zur Regel wird, droht das Vorhandensein mehrerer Eltern eher zur Belastung zu werden statt eine Bereicherung zu sein.