Erfahrungen die unter die Haut gehen…
„Erfahrungen die unter die Haut gehen, hinterlassen spuren im Gehirn“. Dieses Zitat stammt von Gerald Hüter. Er ist Neurobiologe und Autor zahlreicher Bücher wie „Was wir sind und was wir sein könnten. Ein neurobiologischer Mutmacher“. Er arbeitete auf dem Gebiet der experimentellen Hirnforschung und plädiert für eine Neuausrichtung der Biologie im 21. Jahrhundert.
Was ist Lernen?
Lernen umfasst aus neurobiologischer Sicht all jene Prozesse, durch die wir lebenslang so
genannte neuronale Netzwerke erzeugen. Sie abgleichen, überarbeiten und überschreiben. Dabei
werden stets sensorische Eingangssignale in immer steigender Komplexität zu Bedeutung
konstruiert. Im Ergebnis der Abgleichs- und Verarbeitungsprozesse wiederum zu relativ
niederstufigen motorischen Ausgangssignalen weiter verarbeitet.
Die Resultate des Lernens – auch des sozialen Lernens – werden also durch aktuell verfügbare Gedächtnisprozesse repräsentiert. Diese wiederum sind Voraussetzung für die nächstfolgenden Lernprozesse.
Das Gehirn ist eine Baustelle- Fakten zum Gedächtnis
Lern- und Gedächtnisprozesse sind einer ständiger Veränderung unterzogen. Ein Leben lang löst die Umwelt mit ihren Signalen immer neue Umbauprozesse in unserem Gehirn aus. Das Gehirn ist demnach plastisch und verändert sich nutzungsabhängig. Jedes Problem, das wir erfolgreich bewältigen, verbessert unser Problemlöseverhalten in der Zukunft. Die Plastizität ist in der frühen Kindheit besonders stark, Bildungsanstrengungen in diesem Zeitraum dementsprechend
nachhaltig.
Bewertungen sind entscheidend
Hirnarchitektur und Hirnfunktionalität sind so angelegt, dass wir automatisch und unbewusst
Inputs während der Verarbeitung einer Bewertung unterziehen. Bekanntes oder
Unwichtiges wird von vornherein herausgefiltert. Der größte Teil unserer
Lebensprozesse wird daher im Gehirn unbewusst im Modus des Autopiloten gesteuert. Diese Gedächtnis Info unterstützt Aufmerksamkeit. Sie stellt sich automatisch ein, wenn Neuigkeit und Bedeutsamkeit die Lerngegenstände attraktiv halten. Merke: Über die Bedeutung einer Botschaft bestimmt immer der Empfänger.
Gefühle sind wichtig
Es gibt keine Inhalte ohne emotionale Bewertung. Gefühle sind Voraussetzung und Folge von
Lernprozessen. Sie dienen vorrangig dazu, eine Ordnung im Chaos der Wahrnehmungen zu
schaffen. Positiv Erlebtes wollen wir wiederholen. Situationen, in den wir uns schlecht fühlten, werden wir versuchen zu vermeiden.
Diese evolutionäre Strategie hat sich als besonders erfolgreich erwiesen. Daher muss die
Erfahrung, dass auch das Scheitern an einem Problem eine neue Chance darstellt, sozial erlebt
und somit gelernt werden.
Erfahrungen hinterlassen Spuren
Der Mensch ist ein erfahrungsgeleitetes Wesen. „Erfahrungen die unter die Haut gehen, hinterlassen spuren im Gehirn“ und
hinterlassen Gedächtnis-Spuren. Über diese verfügen wir mitunter lebenslang. Sie beeinflussen
unseren Lebensweg entscheidend. Im Laufe seiner intellektuellen Entwicklung
kann der Mensch zwar immer stärker auch bewusst gewordene Modelle, Theorien, Konzepte in
sein Handlungsrepertoire einbeziehen, dennoch bleiben auch diese nur plausibel, wenn sie in
Beziehung zu den laufend eingehenden unmittelbaren Erfahrungen gesetzt werden können.
Diese gehen auch beim sozialen Lernen selbstverständlich stets voraus.
Das Gehirn ist ein soziales Konstrukt
Man kann bekanntlich keinem Menschen das Lernen abnehmen. Doch gleichzeitig ist Lernen
immer ein sozialer Prozess. Einen großen Anteil unserer Gedächtnisprozesse lernen wir
imitatorisch. Wir denken mit unserem Gedächtnis selbst wenn wir mit uns allein sind, befinden wir uns in einem Dialog mit einem vorgestellten Gegenüber. In sozialen Gruppen werden die gemachten Erfahrungen besonders nachhaltig mit einer größeren Tiefe verarbeitet. Positive Lernprozesse in peer-Groups sind
daher unbedingt zu fördern.
Die Bedürfnisse, verbunden zu bleiben und über sich hinauszuwachsen, sind im Gehirn
verankert. Wir können davon ausgehen, dass eine unbewusste Erinnerung an die Zeit vor und nach der
Geburt vorhanden ist. Deshalb suchen wir ein Leben lang Sicherheit in guten Beziehungen.
Fühlen wir uns sicher und geborgen, sind wir besser in der Lage, Herausforderungen zu
bestehen und Probleme zu bewältigen. Damit erwerben wir uns Anerkennung in der Gruppe, die
durch neuronale Verstärkung als eine starke Belohnung empfunden wird. Auf diese Weise sollte
eine hohe und belastbare Selbstwirksamkeitserwartung entstehen. Erst sie bildet die
Voraussetzung, dass wir nach einem Scheitern neue Wege beim Lösen von Problemen und
Bewältigen von Widerständen suchen.
Erreichen
Menschen lassen sich erreichen, in dem man ihre Aufmerksamkeit auf anspruchsvolle, aber
erfüllbare Ziele richtet, mit deren Erreichen sich soziale Anerkennung in Gruppen erwerben
lässt. Ein Mensch, der sich zurückzieht und isoliert, hat den Glauben an das Erreichen dieser
Ziele mehr oder weniger verloren.
Motivieren
Der Mensch ist von Grund auf in einem leicht positiv ausgerichteten Erwartungszustand. Eine
extrinsische Motivation ist eigentlich immer erst notwendig, wenn junge Menschen Erfahrungen
der Entmutigung erlebt haben. Demgegenüber erzeugen bestandene Herausforderungen die
Erwartung von eigener Selbstwirksamkeit und die Motivation, sich neuen Aufgaben zu stellen.
Vorbereiten
In diesem Sinne kommt es besonders darauf an, Kindern und Jugendlichen von Beginn ihres
Lebens an zu helfen eine hohe und belastbare Selbstwirksamkeitserwartung aufzubauen. Sie
verhindert Vermeidungsverhalten nach Scheitern an Problemen und entwickelt stattdessen die
Fähigkeit, aus dieser Erfahrung heraus neue Lösungsansätze abzuleiten. Dafür bedarf es
ausreichender Erfahrungsspielräume, in denen Problemlösungsverhalten lebensnah eingeübt
werden kann.
Fördern
Alles, was zu einem positiven Selbstbild beiträgt, unterstützt lebenslanges Lernen. Also auch: „Erfahrungen die unter die Haut gehen, hinterlassen spuren im Gehirn“.
Eine besondere Rolle besitzen in dieser Hinsicht einladende Lernbedingungen und eine positiv gestimmte Lernkultur, die von einer Atmosphäre der Wertschätzung und Anerkennung gekennzeichnet ist. Durch die Kunsttherapie kann dieser Prozess positiv gefördert werden.
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